Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, kurz: BFSG, dient der Umsetzung der europäischen Vorgaben des European Accessibility Acts (Richtlinie 2019/882). Das Gesetz sieht erstmals auch für den privaten Bereich Verpflichtungen zur Einhaltung von Barrierefreiheitsanforderungen vor. Vermeintliche Verstöße gegen diese Pflichten sind nun Gegenstand wettbewerbsrechtlicher Abmahnungen.
Die Relevanz des BFSG für den E-Commerce ergibt sich v.a. daraus, dass Online-Shops als Unterform der sog. Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr (§ 1 Abs. 3 Nr. 5 BFSG) ebenfalls den Regelungen des BFSG unterliegen. Daher gab es insb. für Online-Händler, die nicht unter die Ausnahme der Kleinstunternehmerregelung des § 3 Abs. 3 i.V.m. § 2 Nr. 17 BFSG fallen, in den Monaten vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 28. Juni 2025 einiges zu tun.
Nun, keine 2 Monate nachdem die Vorschriften in Kraft getreten sind, liegen uns bereits die ersten beiden Abmahnungen zu diesem Thema vor.
Beide stammen von Rechtsanwalt Oliver Lüsgens (CLAIM Rechtsanwalts GmbH), der diese für seinen Mandanten, den Betreiber von „die-website-experten.de“, aussprach. Abgemahnt wurden vermeintliche Verstöße gegen das BFSG.
Inhalt der Abmahnungen
Zunächst führte der Rechtsanwalt an, dass die jeweils abgemahnte Partei mit seiner Mandantschaft im Wettbewerb stehe bzw. als Marktakteur wie ein Mitbewerber im wettbewerbsrechtlichen Sinne zu qualifizieren sei.
Da ihre Homepages entgegen den Vorschriften des BFSG nicht barrierefrei gestaltet seien, verstoße die jeweils abgemahnte Partei – anders als sein Mandant – gegen geltendes Recht.
In dem Schreiben gab Rechtsanwalt Lüsgens an, dass dieser Verstoß eine unlautere Wettbewerbshandlung gem. §§ 3, 3a, 7 (9) UWG darstelle. Infolgedessen stehe seinem Mandanten ein Unterlassungsanspruch gem. § 8 Abs. 1 bzw. 2, Abs. 3 S. 1 UWG zu.
Welche Forderungen enthält die Abmahnung der CLAIM Rechtsanwalts GmbH?
Zwar wird in dem Abmahnschreiben auf das Bestehen eines Unterlassungsanspruches und damit verbunden auf die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- sowie Verpflichtungserklärung hingewiesen, zugleich aber im Rahmen eines Vergleichsangebots auf die Abgabe einer solchen Erklärung und Erstattung der Abmahnkosten in Höhe von 1.032,44 € verzichtet. Voraussetzung sei jedoch, dass die jeweils abgemahnte Partei binnen 10 Tagen ab Erhalt des Abmahnschreibens einen reduzierten Geldbetrag in Höhe von 595,00 € bezahle und die jeweilige Website innerhalb eines Zeitraums von 3 Monaten BFSG-konform umgestalte.
In dem Schreiben wurde außerdem darauf aufmerksam gemacht, dass Verstöße gegen das BFSG zudem ordnungsrechtliche Risiken, konkret in Form von empfindlichen Geldbußen (§§ 37 ff. BFSG), bergen und eine Anpassung auch vor diesem Hintergrund vorzunehmen sei.
Update: Reaktion der CLAIM Rechtsanwalts GmbH
Auf eine Kontaktaufnahme mittels Antwortschreibens folgte eine E-Mail-Reaktion der CLAIM Rechtsanwalts GmbH. In dieser wies sie unter anderem klarstellend darauf hin, dass es sich bei ihrem vorausgegangenen Schreiben – anderes als wörtlich im Betreff bezeichnet – nicht um eine Abmahnung handle. Vielmehr sei darin ein Hinweis auf potentielle (Anscheins-)Verstöße nach BFSG zu sehen, der mit einem Angebot einer Vergleichsannahme einhergegangen sei.
In der Mail erfolgte zudem eine Konkretisierung hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzung des „Wettbewerbsverhältnisses“. Rechtsanwalt Lüsgens führte diesbezüglich aus, dass der Begriff des „Mitbewerbers“ aufgrund des vermeintlichen Vorliegens von Marktverhaltensverstößen, die eine Verzerrung des Wettbewerbs bedingen würden, weit auszulegen sei. Einen „digitalen Marktbezug“ halte er daher für denkbar. In dem Schreiben vertrat er die Auffassung, dass es ausreiche, wenn die betreffenden Marktteilnehmer im digitalen Umfeld agieren. Während sein Mandant u.a. BFSG-konforme Webseiten erstelle, würden andere Marktteilnehmer die mit dem Gesetz einhergehenden Verpflichtungen „offensichtlich ignorieren“ und sich folglich die für die Einhaltung rechtlicher Vorgaben einhergehenden Umsetzungskosten sparen. Insoweit seien lauterkeitsrechtliche Verstöße nicht abwegig.
Hinsichtlich des im ersten Schreiben unsubstantiierten Vortrags des vermeintlichen Verstoßes
(„Sie verstoßen jedoch (im Gegensatz zu unserer Mandantschaft) gegen geltendes Recht, da Ihre Homepage nicht barrierefrei gestaltete bzw. angepasst wurde – siehe ANLAGE Screenshot auf Seite 3 […]“)
gab der Rechtsanwalt nun an, dass die betreffenden Homepages „offensichtlich nicht barrierefrei gestaltet wurden“.
Ein Verweis auf „fehlende Banner oder Navigationsleisten“ bzw. die Ausarbeitung einer Whitelist sei seiner Auffassung nach nicht erforderlich. Dies gelte auch aufgrund des Umstandes, dass „auf der Hand liegen dürfte, was genau gemeint ist, wenn ein Screenshot eine Webseite ohne jegliche BFSG-Vorkehrung zeigt und insoweit nachweislich mit Datumsangabe belegt“.
Sie haben eine Abmahnung bzgl. der Vorschriften zur Barrierefreiheit erhalten? Wir geben Ihnen Tipps für Ihr weiteres Vorgehen.
Bitte beachten Sie, dass Abmahnungen oder auch Hinweise mit Vergleichsangeboten – wie hier von Rechtsanwalt Lüsgens – nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollten. Die in derartigen Schreiben enthaltenen Fristen sind oft kurz bemessen und ein schnelles, aber gleichwohl bedachtes Handeln ist gefragt.
Wichtig ist, dass Sie trotz der akuten Situation und des Zeitdrucks niemals ungeprüft die geforderte Summe zahlen sollten. Auch bei vermeintlich positiven Vergleichsangeboten ist Vorsicht geboten und rechtlicher Rat zu empfehlen.
Wir unterstützen Sie gerne bei der Prüfung, ob es sich um eine berechtigte Abmahnung handelt und welche rechtlichen Reaktionsmöglichkeiten in Ihrem konkreten Fall bestehen.
Nähere Informationen zum Thema BFSG finden Sie auch in dem Beitrag „Nicht vergessen: Ab 28.6.2025 gilt das BFSG„.